Bundesverfassungsgericht kippt Online-Durchsuchung
n der Politik gibt es keine Verlierer, wie das am 27. Februar veröffentlichte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur heimlichen Online-Durchsuchung zeigt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar war zufrieden und auch die erbitterten Antiterrorfahnder Schäuble und Beckstein jubelten.
Dementsprechend breit gestreut waren die Schlagzeilen der bundesdeutschen Medien - von "Online-Durchsuchung ist erlaubt" bis "Bundesverfassungsgerichts kippt Online-Durchsuchung". Lässt das Urteil des BVG derart viel Interpretationsspielraum? Im Prinzip nicht. Das BVG hat das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz, in dem die Online Durchsuchung - oder richtiger die Online-Überwachung - bereits verankert ist, für verfassungswidrig erklärt.
Zwar haben die obersten Richter grundsätzlich einer Online-Überwachung zugestimmt, aber ähnlich wie beim "Großen Lauschangriff" oder der "Wohnraum-Überwachung" die Messlatte so hoch gelegt, dass dem Tiger die Zähne gezogen werden. Das heimliche Ausspähen von PCs darf nur dann geschehen, wenn die unmittelbare Gefahr für Leib und Leben eines Menschen besteht und bei einer konkreten Bedrohung für den "Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen". Und auch dann nur, wenn ein Richter der Überwachung zustimmt.
Noch schallender ist die Ohrfeige, die die obersten Verfassungsschützer den Gesetzgebern verpasst haben, durch die Einführung eines neues Grundrechts auf "Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme": Durch den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt sowie die zunehmende Bedeutung von IT-Systemen in der täglichen Lebensführung ergäben sich neue Gefahren für die Privatsphäre, so Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier.
Mit dem neuen Grundrecht wird das Recht eines Nutzers auf seine Geräte, seien es PC oder Mobiltelefon, gefestigt - der Nutzer müsse darauf vertrauen können, dass seine Daten vertraulich bleiben und er über sein System selbst bestimmen kann.
Mit dem Urteil hat das BVG Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble beim Wort genommen. Dieser hatte in Interviews Ende 2007 abwiegelnd erklärt, dass nicht die PC der ganzen Nation ausgespäht werden sollten, sondern dass es pro Jahr höchstens zehn Online-Überwachungen geben werde. Dabei hatte er sich in einem Interview mit der Berliner Tageszeitung im Februar 2007 noch vorstellen können, dass 50.000 Einsätze pro Jahr denkbar seien - natürlich hinge das auch von den Straftaten ab, bei denen die Online-Überwachung angewendet werden könne. Und das wollte er sehr weit gefasst sehen.
Aufgrund der strengen Auflagen der Verfassungsrichter wird daraus nichts werden. Auch Schäubles Vorstellung, dass im Notfall ohne Einbeziehung eines Richters ein Staatsanwalt die Überwachung anordnen könne, haben die obersten Verfassungsschützer einen Riegel vorgeschoben. Ebenfalls zufrieden mit dem Urteil ist der Parteivorsitzende der FDP, Guido Westerwelle: "Diese Entscheidung ist ein Meilenstein der Rechtsgeschichte für Freiheit und Bürgerrechte. Das Bundesverfassungsgericht stoppt damit die Aushöhlung der Privatsphäre...Das Modell Schily-Schäuble, das die Freiheit der Bürger zu schützen vorgibt, indem es die Bürgerfreiheit aufgibt, ist höchstrichterlich beendet worden."
Was er bei derlei Äußerungen allerdings verschweigt: Sein Parteikollege, der nordrhein-westfälische Innenminister Dr. Ingo Wolf, war maßgeblich an der Durchsetzung des jetzt gekippten nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetzes beteiligt. Allerdings kann der FDP zugute gehalten werden, dass unter anderem ein FDP-Politiker - allerdings einer der alten Schule, nämlich der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard Baum - Verfassungsklage gegen des Gesetz eingereicht hatte.
Die Online-Überwachung wird kommen, insofern stimmt die Schlagzeile "Online-Durchsuchung ist erlaubt", aber die strengen Auflagen und das neue Grundrecht machen das Ausspionieren von Eierdieben unmöglich. Den Vorstellungen einiger Politiker und der Musikindustrie, auf diese Weise auch Kleinkriminelle und Filesharer zu erwischen, hat das Verfassungsgericht mit dem Urteil eine Absage erteilt.
Denjenigen, die Sicherheit über Freiheit stellen, haben die obersten Verfassungshüter am 27.Februar 2008 klar gemacht, wer der Souverän ist - nämlich das Volk.
von Rainer Mersmann
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